Erhält der Pflichtteilberechtigte einen Ausgleich für belohnende Schenkungen des Erblasser?

Das Pflichtteilsrecht gehört seit jeher zu den sensibelsten Bereichen des deutschen Erbrechts. Immer dann, wenn ein Erblasser zu Lebzeiten Zuwendungen an einzelne Angehörige vornimmt, stellt sich die Frage, ob diese Beträge im Erbfall zu berücksichtigen sind und den Pflichtteil der übrigen Berechtigten erhöhen. Besonders bedeutsam ist die Konstellation der sogenannten remuneratorischen Schenkung, also einer Zuwendung, die aus Dankbarkeit oder zur Anerkennung außergewöhnlicher Leistungen erfolgt und nicht bloß unentgeltlich gewährt wird. Wir erläutern, warum diese Form der Zuwendung erbrechtlich eine Sonderstellung einnimmt und weshalb sie häufig keine Pflichtteilsergänzung nach sich zieht.

1. Wesen und rechtliche Einordnung der remuneratorischen Schenkung

Die remuneratorische Schenkung entstammt einer klassischen Rechtsauffassung, nach der Zuwendungen, die sittliche Pflichten oder besondere Leistungen anerkennen, nicht vollständig als unentgeltlich gelten. Juristischer Ausgangspunkt bleibt § 516 Absatz 1 BGB, der bestimmt: „Eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert und beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt.“ Genau an diesem Merkmal setzt die rechtliche Einordnung an. Bei einer belohnenden Zuwendung liegt keine reine Unentgeltlichkeit vor, weil der Erblasser die Anerkennung für außergewöhnliche Hilfe, Pflege oder organisatorische Unterstützung zum Ausdruck bringen will. Die Einordnung hängt daher stets davon ab, ob das Motiv der Dankbarkeit oder der Charakter einer vergütungsähnlichen Leistung im Vordergrund steht.

Wir greifen in unserer Beratung auf bewährte Grundsätze zurück: Je intensiver und außergewöhnlicher die erbrachte Leistung war und je stärker die Zuwendung als Ausgleich oder Anerkennung zu verstehen ist, desto eher wird eine remuneratorische Schenkung angenommen. Sie steht zwischen Schenkung und Entgelt und ist aus diesem Grund nur eingeschränkt pflichtteilsergänzungspflichtig.

2. Bedeutung im Pflichtteilsrecht und gesetzliche Grundlagen

Pflichtteilsberechtigte – insbesondere Abkömmlinge und Ehegatten – haben nach § 2303 BGB Anspruch auf einen Mindestanteil am Nachlass, wenn sie von der Erbfolge ausgeschlossen wurden. Das Pflichtteilsergänzungsrecht nach § 2325 BGB schützt zudem vor einer Aushöhlung des Pflichtteils, indem es lebzeitige Schenkungen des Erblassers hinzurechnet. § 2325 Absatz 1 BGB lautet: „Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.“ Die Vorschrift greift jedoch nur, wenn tatsächlich eine Schenkung im rechtlichen Sinn vorliegt. Ist die Zuwendung dagegen eine angemessene Anerkennung für erhebliche Leistungen des Empfängers, handelt es sich nicht um eine unentgeltliche Zuwendung, sodass der Pflichtteil unverändert bleibt.

Wir stellen in unserer Praxis immer wieder fest, dass diese Frage für die wirtschaftliche Verteilung des Nachlasses von erheblicher Bedeutung ist. Insbesondere dort, wo ein Angehöriger jahrelang gepflegt oder organisatorisch unterstützt hat, kann die Anerkennungsleistung erheblich sein und damit eine Ausklammerung aus dem pflichtteilsergänzungsrelevanten Bereich rechtfertigen.

3. Dank oder Entgelt – die Leitlinien der Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 11. Februar 1998 – IV ZR 65/97 – eine bis heute maßgebliche Linie vorgegeben. In dieser Entscheidung heißt es, dass eine Zuwendung, die „als angemessene Belohnung für erhebliche, über bloße familiäre Hilfe hinausgehende Leistungen erfolgt, keine Schenkung im Sinne des § 2325 BGB ist.“ Der BGH betont in zwei Sätzen, dass außergewöhnliche Leistungen, die weit über den familiären Beistand hinausgehen, eine sittliche Pflicht begründen können und die darauf basierende Zuwendung deshalb nicht als unentgeltlich gilt. Zugleich wird hervorgehoben, dass der Zweck der Pflichtteilsergänzung nicht darin besteht, echte Anerkennungsleistungen zu entwerten. Weiterführende Erläuterung: dejure.org – IV ZR 65/97.

Diese Entscheidung hat sich in der Praxis bewährt und bildet seit Jahrzehnten eine feste Grundlage für die Abgrenzung. Wir orientieren uns stets an der Frage, ob die Leistung des Empfängers eine solche Intensität erreicht, dass eine Vergütungsnähe anzunehmen ist. Dabei spielt eine Rolle, ob Pflegeleistungen über Jahre erbracht wurden, ob berufliche Tätigkeiten aufgegeben wurden oder ob erhebliche persönliche Einschränkungen hingenommen wurden.

4. Beispiel aus der Praxis – die typische Fallkonstellation

Ein Sohn übernimmt über einen langen Zeitraum die umfassende Pflege seiner Mutter. Er gibt berufliche Entwicklungsmöglichkeiten auf, lebt von eigenen Ersparnissen und übernimmt täglich Aufgaben, die in vergleichbaren Fällen professionelle Pflegedienste ausführen würden. Als Anerkennung überträgt die Mutter ihm kurz vor ihrem Tod 100.000 Euro. Nach dem Erbfall verlangen die Geschwister eine Pflichtteilsergänzung. Entscheidend ist in einem solchen Fall, ob die Zahlung im Verhältnis zu den erbrachten Leistungen steht und als Anerkennung einer sittlichen Pflicht verstanden werden muss. Wenn dieser Zusammenhang nachweisbar ist – etwa durch Aussagen der Mutter, Schriftstücke oder objektive Lebensumstände –, handelt es sich um eine remuneratorische Schenkung, die keine Erhöhung des Pflichtteils der Geschwister nach sich zieht. Der Sohn behält die Zuwendung, ohne dass der Betrag dem fiktiven Nachlass zugerechnet wird.

5. Schwierigkeiten der Abgrenzung und Anforderungen an den Nachweis

In der Praxis ist die Einordnung oft komplex, weil der Wille des Erblassers maßgeblich ist und häufig nicht ausdrücklich dokumentiert wurde. Wir sehen in zahlreichen Fällen, dass Streit entstehen kann, wenn keine klaren Festlegungen getroffen wurden oder die Umstände mehrdeutig sind. Der objektive Lebenssachverhalt, das Verhalten des Erblassers, schriftliche Hinweise in Testamenten oder Notizen sowie Zeugenaussagen spielen eine wesentliche Rolle. Gerade in Familien ist es oft schwierig, zwischen üblicher Unterstützung und außergewöhnlicher Leistung zu unterscheiden. Wir stellen fest, dass Gerichte regelmäßig auf den Umfang, die Dauer und die Intensität der erbrachten Leistung abstellen und prüfen, ob eine bloße familiäre Hilfe deutlich überschritten wurde.

6. Unsere Empfehlung – Gestaltungssicherheit durch klare Dokumentation

Um spätere Auseinandersetzungen zu verhindern, empfehlen wir, die Beweggründe einer solchen Zuwendung frühzeitig und eindeutig festzuhalten. Der Erblasser kann den Dank und die Anerkennung in einem Begleitschreiben zur Zuwendung, in einem Schenkungsvertrag oder in einer testamentarischen Erklärung schriftlich begründen. Auch Vereinbarungen über den Umfang der erbrachten Leistungen können helfen, den Charakter der Zahlung nachzuweisen. Diese klare Dokumentation ermöglicht eine rechtssichere Einordnung im Erbfall und schützt sowohl den Begünstigten als auch die übrigen Angehörigen vor Streit und finanziellen Belastungen.

Fazit – Anerkennung besonderer Leistungen ohne Pflichtteilserhöhung

Die remuneratorische Schenkung stellt einen wichtigen Ausnahmebereich im Pflichtteilsergänzungsrecht dar. Sie würdigt Leistungen, die weit über das normale Maß familiärer Hilfe hinausgehen, und verhindert, dass echte Anerkennungszuwendungen durch Ergänzungsansprüche entwertet werden. Ob eine Zuwendung pflichtteilserhöhend wirkt oder nicht, hängt stets vom Einzelfall ab und sollte rechtzeitig rechtssicher festgehalten werden. Wir beraten Sie umfassend zu den rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, prüfen bestehende Zuwendungen und helfen Ihnen dabei, Streitigkeiten innerhalb der Familie von vornherein zu vermeiden.


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gez. M. Peper
Fachanwältin für Erbrecht
Zertifizierte Testamentsvollstreckerin
Fachanwältin für Familienrecht
Zertifizierte Mediatorin

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